Ein Beitrag von Florian Forker, Referent für Öffentlichkeitsarbeit der TPK Hamburg
Es ist noch gar nicht lange her, da machte wieder eine Nachricht die Runde: Ein Jahrzehnte lang – um genau zu sein: 104 Jahre ! – bestehender Verein, einst zuweilen um die 20 – 30 Musikerinnen und Musiker stark, hat die Tore dicht gemacht und sich aufgelöst. Es ist der dritte innerhalb von drei Jahren. Als Grund dafür wurde auch hier wieder „Mangel an Nachwuchs“ an erster Stelle genannt. Diesen Verein kannte ich sogar persönlich, ich traf ihn einige Jahre auf gemeinsamen Auftritten im rheinischen Karneval und sah in ihm eigentlich immer den Verein, der in Sachen „erfolgreiche Vereinsarbeit“ für alle ein Vorreiter war und Vorbildcharakter in der Gemeinschaft besaß. Das ist allerdings auch schon wieder 15 Jahre her. Was ist also seitdem passiert, dass ein einst so erfolgreicher Verein, der sich auch immer irgendwo unter den Erstgenannten befand, wenn man nach guten Spielmannszügen in der Region Ausschau gehalten hatte, nun einfach so von der Bildfläche verschwinden konnte?
Es steht sicherlich außer Frage, dass schon länger nicht nur in Hamburg, sondern bundesweit ein kräftiger Wind durch unsere Vereinslandschaften weht, der auch schon so manch anderen Verein hat gefährlich wackeln oder gar von der Bildfläche verschwinden lassen. Denn durch den seit einigen Jahren anhaltenden Strukturwandel hin zu einer digitalisierten und vor allem schnelllebigen Gesellschaft haben sich automatisch auch die Anforderungen an die moderne Freizeitgestaltung massiv verändert. Durch das reformierte Schulsystem bleibt nicht mehr so viel Zeit für Hobbyaktivitäten wie einst, der Arbeitsmarkt verlangt immer mehr räumliche und zeitliche Flexibilität, und alternative Freizeitangebote ohne Pflicht zu einer längeren und verantwortungsvollen persönlichen Bindung schießen mehr und mehr aus dem Boden. In der übriggebliebenen wenigen Zeit rückt man im familiären Umfeld auch wieder dichter zusammen und unternimmt abseits der Gesellschaft lieber etwas im Familien- und Freundeskreis. Auch wenn die Norddeutschen an sich ja allgemein als durchaus sturmerprobtes Volk gelten, so macht auch den Vereinen hierzulande der Strukturwandel also doch durchaus zu schaffen. Gerade Vereine, die auf dem künstlerisch-musikalischen Gebiet zuhause sind, merken flächendeckend den Umbruch vor allem anhand sinkender Mitgliederzahlen und einer sinkenden Akzeptanz und Wahrnehmung in der Gesellschaft bis hin zu dem Punkt, dass der Fortbestand des ganzen Vereins plötzlich in Frage gestellt werden muss. Gerade im Spielmannswesen, wo früher regelmäßig bis zu 40 und mehr Musikerinnen und Musiker gemeinsam unterwegs waren, sind heute nicht selten nur noch 10 Instrumentalisten und weniger beim Auftritt anzutreffen – wenn sich denn mal eine Auftrittsmöglichkeit bietet. Die Angst, nicht nur vor immer weniger Konzert- und Veranstaltungsbesuchern spielen zu müssen, sondern mittlerweile auch die meisten Orchesterstühle nicht mehr besetzen zu können, greift mehr und mehr um sich.
Es gibt auf der anderen Seite aber auch immer noch eine Menge Positivbeispiele, denen – um im hanseatischen Sprachgebrauch zu bleiben – der Sturm scheinbar nichts anhaben kann. Was machen diese Vereine also richtig? Was machen sie anders? Passen Traditionen – wie man sie im Spielmannswesen nun mal hat – noch in das heutige Vereinsbild? Vor allem liegt es an jedem Verein selbst, wie fest er in die heutige Gesellschaft integriert ist oder gibt es auch nicht steuerbare Faktoren „von außen“? Höchste Zeit also, dieses Thema näher zu beleuchten und sich dafür fachkundige Hilfe an die Seite zu holen.
Alexandra Link bei der TPK Hamburg
Gefunden hat die TPK Hamburg diese Unterstützung in Alexandra Link, einer Kennerin der nationalen und internationalen Blasmusikszene. Die aus Freiburg stammende Marketingspezialistin und Expertin für Blasmusik hielt auf Einladung der TPK Hamburg Anfang April dazu ein Tagesseminar, das sich genau diesem Thema widmet. Wie können vor allem Musikvereine unter den derzeitigen Bedingungen auch heute erfolgreiche und nachhaltige Vereinsarbeit betreiben, sodass sich der Fortbestand des Vereins auch weiter sichern lässt? Unter dieser Fragestellung analysierte sie zusammen mit den 12 Teilnehmern aus Hamburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen nach einer kurzen Einstiegs- und Vorstellungsrunde die vier Kernproblemfelder eines Musikvereins – Musik/Musiker, Organisation, Jugend und Finanzen – hinsichtlich Einfluss, Gewichtung und Relevanz.
Die zusammengetragenen Ergebnisse wurden in der Gruppe anschließend im Sinne eines Rankings bewertet. Gemeinsam mit den Teilnehmern wurden daraus dann Wege, Analysemethoden und Lösungskonzepte zur Erkennung und Beseitigung dieser Probleme abgeleitet. Auch wurde ausführlich über die allgemeingültigen und vereinsunabhängigen Kernbereiche gesprochen, die für gewöhnlich als Keimzelle der meisten Probleme in jedem Verein auszumachen sind und daher wirklich immer eines besonderen Augenmerks bedürfen – sowohl bei bereits bestehenden Problemen als auch rein präventiv. Darunter gerade auch Einflüsse von außen, denen insbesondere Musikvereine heute ausgesetzt sind, wurden angesprochen. Sei es die Integration des Vereins in seine örtliche Kulturlandschaft, Auftrittsmöglichkeiten und all diejenigen anderen Faktoren, denen der Verein nur reaktiv begegnen kann.
Nach einer gemeinsamen Mittagspause und einem regen Austausch bei Gulasch und – als Gruß an Links südwestdeutsche Heimat – Spätzle ging es dann in die Praxisphase. In einer weiteren Gruppenarbeit entwickelten die Teilnehmer anhand des frisch Gelernten eigene Lösungsstrategien zu den einzelnen Problemfeldern. In diese flossen auch so manche bereits gemachte Erfahrungen aus dem eigenen Verein mit ein. Am Ende des Seminars stand Alexandra Link natürlich noch jedem für offene Fragen, Anregungen, Ideen und Gedanken ausgiebig zur Verfügung.
Ganz nebenbei bemerkt konnte dieses Mal der für dieses Seminar gebuchte Veranstaltungsort auch nicht treffender gewählt werden. Denn allein schon das Seminarhaus mit seinem Namen „Youth, Education & Sport“ – kurz: YES! – nahm das eigentlich zu erarbeitende Ergebnis bereits die ganze Zeit vorweg: nämlich das JA! und Bekenntnis dazu, dass unsere Musikvereine auch heute noch sehr wohl ihren festen und verdienten Platz im Freizeitangebot der Gesellschaft haben.
Insgesamt war der Seminartag mit Alexandra Link ein äußerst spannender, unterhaltsamer und vor allem erkenntnisreicher Tag. War man sich am Morgen noch uneinig ob der Zukunftsperspektiven der Musik- und Spielmannsbranche, sah das am Ende der Veranstaltung schon ganz anders aus: Ja, die Musik- und Spielmannszüge haben eine Zukunft! Aber klar ist auch, dass es dazu einer Menge an Umdenken, Neuorientierung und vor allem Eigeninitiative bedarf.
Willi Brandt hat es einmal sehr treffend auf den Punkt gebracht: „Der beste Weg, die Zukunft vorauszusagen, ist, sie zu gestalten.“
Dieser Beitrag von Florian Forker erschien in der TPKinfo Ausgabe 47 | 2019 und kann hier im Original runter geladen werden.