Erschienen in der TPKinfo Ausgabe 47 | 2019
Nach dem Seminar bei der TPK in Hamburg ergab sich die Gelegenheit, mit Alexandra Link ein kurzes Interview für das Online-Magazin TPKinfo zu führen.
Alexandra, normalerweise bist Du als Dozentin, anerkannte Beraterin und Spezialistin in der deutschen Blasmusikszene bekannt und unterwegs. Jetzt hattest Du bei uns in der TPK Hamburg die Gelegenheit, zu dem von Dir angebotenen Seminar nun auch die Spielmannsmusik hierzulande genau unter die Lupe zu nehmen. Sind die Problemfelder der Spielleute in Deutschland denn nun anders als die der Blasorchester?
Alexandra Link: Sind Spielleute anders als Blasmusiker? Eigentlich hatte ich als eingefleischte, fast schon fanatische, auf jeden Fall begeisterte Blasmusikerin bei Euch in Hamburg genügend Zeit, genau das herauszufinden. Eigentlich. Aber uneigentlich ist diese Frage wiederum ja auch überhaupt nicht ausschlaggebend. Denn eins wusste ich ja schon vorher genau. Wir wollen alle das Gleiche: In einer freundschaftlichen Gemeinschaft zusammen musizieren, Spaß und Erfolg.
Die Formel kann ganz einfach sein: Tragen wir alle das, was uns an unseren Musikvereinen – egal ob Blasorchester oder Spielmannszug – so gefällt, permanent positiv nach außen. Mit unserer eigenen Begeisterung andere anstecken. Entweder um mit zu machen, oder wenigstens zu unseren Konzerten und Events zu kommen.
Viele Spielmanns- und Musikzüge machen das sicherlich intuitiv oder versuchen es mehr oder weniger auf ihre Weise. Was aber, wenn es für den Verein schon nicht mehr so rund und erfolgreich läuft? Oder der Verein gar mit dem Rücken schon an der Wand steht?
Alexandra Link: Was man macht, wenn es im eigenen Verein gerade nicht so viel Positives zu berichten gibt? Wenn die Besetzung bröckelt oder schon lange auf ein Minimum gesunken ist? Wenn es immer die Gleichen sind, die sich in die Organisation und die außermusikalischen Aufgaben einbringen? Wenn die Musikerinnen und Musiker unzufrieden mit der musikalischen Ausrichtung sind? Wenn Unzuverlässigkeit, Unpünktlichkeit, ungenügende Kommunikation und andere Umstände die Verantwortlichen und die Musiker an ihre Frust-Grenze bringen? Nun, dann ist allerspätestens der Punkt erreicht, an dem wir unsere Hausaufgaben dringend erledigen sollten. Patentrezepte für den umfassenden Erfolg gibt es leider keine. Es gibt keine fertige Struktur, die nur über einen Spielmannszug oder ein Blasorchester übergestülpt wird, und schon ist alles wieder im Lot. Jeder Verein ist Produkt seiner eigenen Geschichte, hat seine eigenen Veranstaltungen und Traditionen, die Kommunen und allgemein das Umfeld ist jeweils anders strukturiert. Im Verein musizieren Individuen mit jeweils eigenen Charakteren. Das gilt für beide genannten Bereiche der blasenden Zunft gleichermaßen.
Wir können nur von „Lösungsansätzen“ reden. Jeder Musikverein muss für sich selbst herausfinden, wo genau die Probleme liegen. Ohne persönlichen Befindlichkeiten Raum zu geben. Auf die reinen Probleme reduziert. Dann sich darüber Gedanken machen, wo die Reise hin soll, wie die Reise gestaltet werden kann bzw. soll und muss schließlich entscheiden, welche Fortbewegungsmittel letztendlich gewählt werden. Eines ist dabei sicher: Wer kein Fortbewegungsmittel wählt, wird bleiben, wo er gerade ist. Keine Wahl ist übrigens auch immer schlechter, als eventuell die falsche Wahl. Zu deutsch: Wer nicht ins Handeln kommt, wird an der Situation des Vereins auch nichts ändern. Gerade wenn es dem Verein schon seit längerer Zeit schlecht geht, kostet es große Mühe und Arbeitsanstrengungen, ihn wieder auf Kurs zu bringen. Einer alleine schafft das nicht. Das schaffen nur alle Verbliebenen gemeinsam.
Aber woher die wirklich rettenden Ideen nehmen? „Problem erkannt, Problem gebannt“ ist bestimmt allein ja nicht der Schlüssel zur Kehrtwende. Gibt es denn nicht zumindest eine Art Leitfaden, dessen man sich bedienen könnte? Wie machen es denn die erfolgreichen Musikvereine?
Alexandra Link: Nein, den Universalproblemlöser gibt es so gesehen leider nicht. Dafür sind die Probleme viel zu verschieden, zu komplex und differenziert.
Aber die aus der Betriebswirtschaft stammende Wissensstrukturkarte kann uns bei der Analyse, der Zielsetzung, dem Erarbeiten von möglichen Lösungen, dem auf den Musikverein zugeschnittenen und festgelegten Maßnahmenfahrplan und letztendlich der Erfolgskontrolle helfen.
Es kann dabei durchaus hilfreich sein, diesen Prozess sogar mit externer Begleitung durchzuführen. Die schlechte Nachricht: Es reicht nicht, diesen Prozess einmal zu durchlaufen und dann nie mehr. Wir müssen uns schon die Mühe machen, ihn immer und immer wieder zu durchlaufen.
Welche Ansätze stehen den Vereinen beim Lösen ihrer Probleme also zur Verfügung? Ein Stichwort zur Lösung ist „Qualität“ und zwar in allen Bereichen – in der Musik, der Organisation und in der Jugendarbeit.
Der Musikverein agiert heutzutage auf einem hart umkämpften Freizeitmarkt. Und neben vielen Sportangeboten und sonstigen Freizeitaktivitäten haben wir in den Musikvereinen auch immer mehr mit der steigenden Belastung in Beruf und vor allem mit den ausgedehnten Schulaktivitäten (Stichwort „Ganztagsschule“) zu kämpfen. Einzige Möglichkeit in meinen Augen ist die Attraktivitätssteigerung des Musikvereins einhergehend mit einem hohen Qualitätsanspruch.
Wenn die Qualität nicht stimmt, können wir uns noch so viele Werbemaßnahmen ausdenken – sie werden nichts nutzen. Wenn wir schlechte Konzerte spielen, kommen die Zuhörer nächstes Mal nicht mehr. Wenn das Ausbildungssystem schlecht ist, schicken uns die Eltern ihre Kinder nicht in den Unterricht bzw. die Jugendensembles. Wenn die interne Kommunikation nicht umfassend und klar ist, wird es Unzufriedenheit geben. Usw.
Ich möchte hier noch betonen, dass Qualität nichts mit dem Schwierigkeitsgrad der gespielten Musik zu tun hat. Ganz im Gegenteil. Es geht darum, Musik im angemessenen Schwierigkeitsgrad, also im machbaren Bereich für die Musikerinnen und Musiker, die zur Verfügung stehen, so gut wie möglich zu spielen.
Wie oben schon beschrieben ist eine umfassende Analyse und eine Standortbestimmung Grund- und Ausgangslage. Es hilft weiter, sich über die Ziele, die der Verein verfolgt, im Klaren zu sein und diese schriftlich niederzulegen. Kennst Du den idealen Musikverein? Nein? Ich auch nicht. Aber man könnte sich zusammen mit seinen MusikerInnen doch einmal vorstellen, wie ein idealer Musikverein aussehen könnte!?? Wenn man erst einmal weiß, wo die Reise hingehen kann, findet man auch Wege dahin.
Also fängt die Problemlösung mit einer Vision an?
Alexandra Link: (lacht) Das wäre Esoterik. Das Stichwort, auf das ich hinaus will, ist „Mission“. Das, was die Musikvereine – egal ob Spielmannszug oder Blasorchester – in erster Linie ausmacht, ist die Musik, die dargeboten wird. Die erste Frage sollte doch also sein: wie machen wir unsere Konzerte und Veranstaltungen so attraktiv, dass sie die entsprechende Außenwirkung haben und somit quasi automatisch mit nach außen vermittelt wird: Es lohnt sich und macht Spaß, ein Instrument zu lernen und in diesem Musikverein zu musizieren!
Des Weiteren sehe ich es als wichtig an, die organisatorischen Aufgaben des Vereins auf so viele Schultern wie möglich zu verteilen. Wenn wir die MusikerInnen dazu bringen können, dass es „normal“ ist, wenn jeder neben dem Musizieren auch noch eine außermusikalische Aufgabe hat, sind wir einen großen Schritt weiter. Das heißt nun nicht, dass die Vorstandschaft aufgebläht werden soll, sondern dass die Vereinsführung teamorientiert aufgestellt wird. Wenige Verantwortliche in der Vorstandschaft und jedem steht ein Team von Leuten zur Verfügung, welche die Arbeit erledigen.
Im Bereich der Jugendarbeit heißt das zum Beispiel, dass es einen Jugendvorstand gibt, der für einzelne Teilbereiche auf mehrere Mitstreiter zurückgreifen kann, die dann wiederum ihren eigenen kleinen Verantwortungsbereich haben.
Wie genau die Aufgaben verteilt werden, hängt von den Aufgaben an sich, aber in größerem Maße von den Menschen innerhalb des Musikvereins ab. Wer hat welche Talente? Wer bringt welchen Rucksack an Erfahrungen mit? Also auch hier: kein Patentrezept, kein System, das über einen Verein übergestülpt werden kann.
Die richtigen Ausbildungskonzepte sind wichtig. Wie können wir die Jugendarbeit gestalteten, in der die Kinder und Jugendlichen von Anfang an das Gemeinschaftserlebnis „Musik“ erfahren? In wie weit können wir mit Grundschulen und Musikschulen kooperieren? Wie können wir geänderte Bedingungen, wie zum Beispiel die Ganztagesschule, für uns nutzen?
Damit die jungen MusikerInnen letztendlich auch in unseren Musikvereinen ankommen ist es wichtig, dass schon von Anfang an persönliche Beziehungen zwischen „Jung“ und „Alt“ aufgebaut werden. Bisher erwarten wir, dass die Jungen zu uns kommen. Wir sollten aber eher in die Richtung denken: „Wie kommen wir Erwachsenen zu den Jugendlichen?“. Wir Erwachsenen sind in der Pflicht. Gute Ideen können Patenschaften, regelmäßige Besuche von Registerleitern in den Proben der Jugendensembles, das gemeinsame Erarbeiten von ein oder zwei Werken von Jugendensembles und Erwachsenenorchester zusammen, usw. sein.
Aber was ist denn, wenn der Verein schon so auf das unterste Minimum zusammengeschrumpft ist, dass einfach keine „Manpower“ mehr vorhanden ist?
Alexandra Link: Ist ein Musikverein bereits auf wenige MusikerInnen zusammengeschrumpft, hat er eventuell auch keine Zeit und keine Ressourcen mehr, nur auf eine langfristig angelegte Jugendarbeit zu bauen. Wie kann die Anzahl der MusikerInnen also trotzdem wieder gesteigert werden? Erwachsenen-Ausbildung, Rekrutierung Ehemaliger sind dafür Ideen. Vielleicht gibt es auch MusikerInnen, die erst kürzlich in die Gemeinde gezogen sind? Oder MusikerInnen, die anderswo aufgehört haben und nun eine neue musikalische Heimat suchen?
Ein weiterer Lösungsansatz heißt: Kooperation. Welche Spielmannszüge gibt es in der Umgebung, mit denen man einmal ein gemeinsames Projekt organisieren kann? Es muss ja nicht gleich fusioniert werden. Aber ein großes Gemeinschaftserlebnis stärkt die Motivation aller. Wir bekommen Lust auf „mehr“, schaffen ein Ereignis, von dem noch jahrelang begeistert gesprochen wird. Und um nochmals auf meine Behauptung vom Anfang dieses Interviews zurück zu kommen: Wir wollen alle das Gleiche: In einer freundschaftlichen Gemeinschaft zusammen musizieren, Spaß und Erfolg.
„Qualität“ und „Mission“ bedingen einander und gehen einher mit der „Wirtschaftlichkeit“. Je attraktiver der Verein, desto breiter kann seine finanzielle Basis werden. Andererseits können wir uns nur leisten, was wir auch in der momentanen Situation finanzieren können.
Wenn der Verein gut aufgestellt ist, in seinen Konzerten und Veranstaltungen ein begeistertes Publikum hinterlässt, eine engagierte Jugendarbeit betrieben wird, usw., dann ist es ebenso wichtig, diese Dinge in einer strukturierten Öffentlichkeitsarbeit in die Gemeinde und darüber hinaus zu tragen. Eine gute Öffentlichkeitsarbeit hilft uns, nicht nur unsere Veranstaltungen zu füllen. Wenn wir permanent, also regelmäßig durch Präsenz, Presse, Social Media, Newsletter, Infobriefe, u. a. auf uns aufmerksam machen, wird nach außen gezeigt: In diesem Verein geht etwas! Es zeigt Eltern, dass ihre Kinder und Jugendlichen in unseren Vereinen gut aufgehoben sind und sie durch das Erlernen eines Instruments in jedem Lebensalter in der Lage sind, dieses tolle Hobby in einer Gemeinschaft auszuüben. Es zeigt unseren passiven bzw. fördernden Mitgliedern, dass es sich lohnt, uns in unseren Bemühungen, das Publikum zu erfreuen und eine aktive Jugendarbeit auf die Beine zu stellen, zu unterstützen. Das Gleiche gilt für Sponsoren. Und auch für die Kommune selbst. Eben für das komplette Netzwerk um einen Musikverein herum.
Gut, die zuweilen überfällige Kernsanierung im Verein selbst ist das eine. Aber wie zeigt man denn dann allen, dass man erfolgreich aufgeräumt hat?
Alexandra Link: „Aufräumen“ klingt sehr brachial. Denn die Mission soll in erster Linie natürlich mit Freude und Spaß geschehen. Die bessere Frage ist: Wie organisieren wir eine permanente positive Außendarstellung!? Auch zu diesem Thema habe ich mir schon viele Gedanken gemacht. Es nun hier und heute weiter auszuführen, würde schlichtweg den Rahmen sprengen. Gerne schreibe ich in einer zukünftigen TPKinfo über dieses Thema einen Artikel. Oder die LeserInnen scha en einmal in meinen Blasmusikblog www.blasmusikblog. com. Dort sind mittlerweile mehrere Artikel zu den Themen „Zukunft der Musikvereine“ und „Marketing für Musikvereine“ erschienen. Oder einfach etwas Geduld haben und im nächsten Jahr zu einem angedachten weiteren Workshop mit mir hier in Hamburg kommen: „Marketing für Musikvereine“. Ich würde mich freuen.
Liebe Alexandra, Deine Reise zurück gen Heimat geht gleich los. Dir wirklich vielen Dank für den interessanten Tag und das überaus interessante Interview. Und wir freuen uns einfach darauf, wenn Du nächstes Jahr unserer Einladung für ein Folgeseminar* zusagen würdest. Dir also einen guten Flug, bis bald und alles Gute.
Alexandra Link: Sehr gern, und vielen Dank an Euch und die TPK Hamburg. Vielleicht heißt es ja nächstes Jahr wirklich wieder: „Willkommen in Hamburg“ für mich.
Herzlichen Dank an die TPK Hamburg für die Erlaubnis, dieses Interview hier auf der Website des Kulturservice Link zu veröffentlichen. Die TPKinfo, in der dieses Interview erschienen ist, kann hier komplett runtergeladen werden.
*Das Folgeseminar findet am 4. April 2020 in Hamburg statt.