Gleich zwei Mal durfte ich am vergangenen Wochenende den Workshop “Zukunft der Musikvereine” halten. Eingeladen hatte der ostbelgische Musikverband Födekam. In Ostbelgien ist die deutschsprachige Gemeinschaft beheimatet. Sie genießt einen ähnlichen politischen Status wie Südtirol in Italien.
Am Samstag fanden 23 Personen und am Sonntag 15 Personen den Weg nach Bütgenbach auf den Pferdehof “Domaine Rurhof”. Die Domaine Rurhof ist nicht nur Pferdehof. Sie wird nach und nach zu einem Kulturzentrum ausgebaut. Die Workshop- und Tagungsräume sind in der ehemaligen Besitzer-Villa und im Obergeschoss des Pferdestalls untergebracht. Ein großer Konzertsaal im Obergeschoss des Pferdestalls ist noch im Bau. Im Gesindehaus befinden sich neben einem gemütlichen Essens- und Aufenthaltsraum mit Bar im Obergeschoss 5 Zimmer mit Wohnzimmer und Küche für Gäste.
Nicht nur auf der Domaine Rufhof wird Kultur groß geschrieben. In Ostbelgien fließen – wie auch überwiegend im restlichen Belgien sehr viele Gelder in die Kultur. Dazu jedoch später mehr.
Der ostbelgische Musikverband Födekam ist für alle musikalischen Vereine zuständig. Bei den Workshops waren deshalb nicht nur Vertreter aus Blasorchestern, sondern auch aus Chören, Akkordeonorchester, Tambourenkorps, Spielmannszügen und aus einem Mandolienorchester. Nicht alle Probleme und Herausforderungen, die angesprochen wurden, waren für alle gleichermaßen von hohem Interesse, der gegenseitige Austausch gelang jedoch sehr gut – alle konnten voneinander lernen und profitieren.
Nach einer Vorstellungsrunde, bei dem jeder erzählte, aus welchem Ensemble er kommt und welche Erwartungen er an den Tag hat, ging es dann auch gleich in die Arbeitsgruppen. In vier Arbeitsgruppen wurden die jeweiligen Probleme und Herausforderungen in den Bereichen Musik / Musiker, Finanzen, Organisation und Jugend erarbeitet. Diese Herausforderungen wurden anschließend von den Teilnehmern nach Wichtigkeit bewertet.
Die erarbeiteten Punkte wurden erläutert, ergänzt und auch schon erste Lösungsansätze besprochen. Das jeweils dringendste Problem in jedem Bereich wurde dann in anders zusammen gesetzten Arbeitsgruppen nochmals genauer unter die Lupe genommen und mögliche Maßnahmen erarbeitet.
Zwischendurch habe ich die Vergleichbarkeit von Vereinen mit Firmen unter der besonderen Berücksichtigung, dass es in den Vereinen fast ausschließlich ehrenamtlich Mitarbeitende gibt, erklärt. Außerdem den Analysekreislauf und das Spannungsfeld “Musikverein zwischen Mission, Qualität und Wirtschaftlichkeit”. Wichtige Tools und Theorien um die Probleme in den eigenen Vereinen lösen zu können.
Sowohl am Samstag als auch am Sonntag war ein großes Thema, wie die Vorstandsarbeit anders organisiert werden kann. In diesem Zusammenhang habe ich ein teamorientiertes Vorstandsmodell, bei dem möglichst alle MusikerInnen neben dem Musizieren auch eine außermusikalische Aufgabe übernehmen, erklärt.
Ich habe oben schon einmal erwähnt, dass in die Kultur in Ostbelgien sehr viel Geld von Seiten der Deutschsprachigen Gemeinschaft fließen. Kinder können für unter 100 Euro im Jahr ein Instrument an den Musikakademien lernen und haben außerdem noch Theorie-Unterricht (Solfège) und teilweise Ensemblespiel. Die Vereine können sich alle vier Jahre einer Einstufung stellen. Abhängig von der angestrebten Leistungsstufe und dem Ergebnis erhalten die Vereine Zuschüsse von der Regierung. Was auf den ersten Blick wie ein Segen aussieht hat leider auch Schatten-Seiten. Im Bereich der Musikakademien sind das beispielsweise Eltern, die nicht hundertprozentig hinter dem Musikunterricht ihrer Kinder stehen. Bei den Vereinen sind die Probleme noch krasser: Manche Vereine puschen sich vor der Einstufung mit Aushilfen, kurzfristig hinzugenommenen Mitgliedern und vielen Extra-Proben, nur um einen höheren Zuschuss zu bekommen. Im Jahr vor der Einstufung spielen sie dann zum Beispiel in der Höchststufe, danach können sie das Niveau aber nicht mehr halten… Das kommt einer Ausnutzung des Systems gleich und ist sicherlich nicht im Sinne des Erfinders.
Patentrezepte, die über jeden Verein übergestülpt werden können, gab es an beiden Workshoptagen wie immer nicht. Da jeder Verein einzigartig ist, sich in jeweils anderen Umgebungen und unterschiedlichen Gemeinden befinden und jeder seine eigene Historie hat, ist das sowieso unmöglich. Aber es gab sehr viele Anregungen für die Vereinsarbeit nicht nur von mir, sondern auch von den Teilnehmern, aus denen sich jeder sicherlich sehr viele Anregungen für den eigenen Verein mitnehmen konnte. Wie immer bei meinen Workshops “Zukunft der Musikvereine” hat sich gezeigt, dass ein sehr großes Bedürfnis des gegenseitigen Austauschs besteht.
Die beiden Workshop-Tage in Ostbelgien waren für mich zwar anstrengend, aber sehr bereichernd. Beide Tage haben mir sehr viel Spaß gemacht. Nicht zuletzt deswegen, weil an beiden Tagen angeregt diskutiert und mitgearbeitet wurde.